Schwan­ger­schaft, Mut­ter­schaft und dis­kri­mi­nie­rende Kün­di­gun­gen beschäf­ti­gen Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeit­ge­ber glei­cher­mas­sen. Meine Prä­sen­ta­tion anläss­lich des WEKA-Arbeits­rechts­kon­gres­ses ver­schafft einen Über­blick über die Fallstricke:

Über­sicht

  • Schwan­ger­schaft
  • Mut­ter­schaft
  • Fall 1: Der reak­ti­ons­schnelle Arbeitgeber
  • Fall 2: Die schlaue Mitarbeiterin
  • Fall 3: Kün­di­gung nach Wie­der­auf­nahme der Arbeit
  • Fall 4: Der Königsweg
  • Fall 5: Der Wunsch nach Pensumsreduktion
  • Fall 6: Böse Überraschung
  • Fall 7: Mut­ter mit Familienpflichten
  • Fall 8: Vater mit Familienpflichten
  • Fall 9: Tra­gi­scher Fall

Gesetz­li­che Grundlagen

1. Arbeits­ge­setz (Art. 35 ff. ArG) und Vollzugsverordnungen
  • Schützt die Gesund­heit von Schwan­ge­ren, Wöch­ne­rin­nen und stil­len­den Müttern.
  • Beschreibt die Vor­aus­set­zun­gen, unter denen diese Frauen beschäf­tigt wer­den dürfen.
  • Ach­tung: Das ArG erfasst nicht alle Betriebe und nicht alle Arbeit­neh­me­rin­nen (nicht erfasst sind z.B. pri­vate Haus­halte und höhere lei­tende Ange­stellte; dazu Art. 1–4 ArG).
2. Obli­ga­tio­nen­recht (Art. 319 ff.)
  • Regelt die Lohn­fort­zah­lung (Art. 324a OR).
  • Ent­hält Kün­di­gungs­schutz­be­stim­mun­gen (Art. 336c Abs. 1 lit. c; Art. 336 Abs. 1 lit. a und d OR).
3. Erwerbs­er­satz­ge­setz (Art. 16 b ff. EOG) und Ver­ord­nung (Art. 23 ff. EOV)
  • Regelt die Ent­schä­di­gung berufs­tä­ti­ger Frauen bei Mutterschaft.
4. Gleich­stel­lungs­ge­setz (GlG)
  • Ver­bie­tet die geschlech­ter­spe­zi­fi­sche Diskriminierung.
  • Mut­ter­schutz­ver­ord­nung
  • Regelt die Kri­te­rien für die Beur­tei­lung der gefähr­li­chen und beschwer­li­chen Arbeiten.

Schwan­ger­schaft / Kündigungsschutz

1. Zeit­li­cher Kündigungsschutz
  • Pro­be­zeit: Kein zeit­li­cher Kün­di­gungs­schutz (Art. 336c Abs. 1 OR)
  • Nach Ablauf der Pro­be­zeit: Wäh­rend der Schwan­ger­schaft und 16 Wochen nach der Nie­der­kunft (Art. 336c Abs. 1 lit. c OR)
2. Sach­li­cher Kündigungsschutz
  • Kün­di­gung wäh­rend der Pro­be­zeit kann miss­bräuch­lich sein (Art. 336a Abs. 1 lit. a und d OR).
  • Schutz vor dis­kri­mi­nie­ren­den Kündigungen
  • Kün­di­gung wäh­rend der Pro­be­zeit kann dis­kri­mi­nie­rend sein (Art. 9 GlG).

Schwan­ger­schaft / Ein­schrän­kun­gen bei der Arbeit

1. Gefähr­li­che oder beschwer­li­che Arbei­ten (Art. 62 ArGV 1)
  • Nur zuläs­sig, wenn auf­grund einer Risi­ko­be­ur­tei­lung fest­steht, dass keine gesund­heit­li­che Belas­tung für Schwan­gere und Kind vor­liegt oder wenn eine sol­che Belas­tung durch geeig­nete Schutz­mass­nah­men aus­ge­schal­tet wer­den kann.
  • Die gefähr­li­chen und beschwer­li­chen Arbei­ten wer­den in der Mut­ter­schafts­ver­ord­nung definiert.
  • Die Risi­ko­be­ur­tei­lung muss vor Beginn von Frauen im Betrieb durch eine fach­lich kom­pe­tente Per­son durch­ge­führt wer­den, falls in einem Betrieb Arbei­ten aus­ge­führt wer­den, die für die Schwan­gere oder das Kind gefähr­lich oder beschwer­lich sein können.
  • Der Arbeit­ge­ber muss Schwan­ge­ren, die eine gefähr­li­che oder beschwer­li­che Arbeit ver­rich­ten, nach Mög­lich­keit eine gleich­wer­tige Ersatz­ar­beit ohne Risi­ken anbieten.
2. Abend- und Nachtarbeiten
  • Wäh­rend der ers­ten sie­ben Monate der Schwan­ger­schaft: Die Arbeit­neh­me­rin, die zwi­schen 20.00 und 06.00 Uhr arbei­tet, kann ver­lan­gen, für eine gleich­wer­tige Tages­ar­beit ein­ge­setzt zu wer­den (Art. 35b Abs. 1 ArG).
  • Ab der ach­ten Woche vor Nie­der­kunft: Die Arbeit­neh­me­rin darf nicht zwi­schen 20.00 und 06.00 Uhr ein­ge­setzt wer­den (Art. 35a Abs. 4 ArG).
3. Keine gleich­wer­tige Ersatz­ar­beit und Lohnzahlung
  • Kann der Arbeit­ge­ber keine gleich­wer­tige Ersatz­ar­beit anstelle der gefähr­li­chen oder beschwer­li­chen Arbeit oder, im Falle von Abend- und Nacht­ar­beit, keine gleich­wer­tige Tages­ar­beit anbie­ten, haben die Arbeit­neh­me­rin­nen das Recht, die Arbeit nicht zu ver­rich­ten. Sie haben sodann Anspruch auf 80% des Loh­nes (Art. 35 Abs. 3 und Art. 35b Abs. 2 ArG).

Schwan­ger­schaft / Wei­tere Besonderheiten

1. Wei­tere Besonderheiten
  • Keine Ver­län­ge­rung der ver­trag­lich ver­ein­bar­ten ordent­li­chen Dauer der täg­li­chen Arbeits­zeit zuläs­sig. Die täg­li­che Arbeits­zeit darf über­dies in kei­nem Fall neun Stun­den über­schrei­ten (Art. 60 Abs. 1 ArGV 1).
  • Eine Schwan­gere darf auf blosse Anzeige hin von der Arbeit weg­blei­ben oder diese ver­las­sen (Art. 35a Abs. 2 ArG). Der Lohn ist aber nur bei Nach­weis der Arbeits­un­fä­hig­keit (Arzt­zeug­nis) geschuldet.
  • Schwan­gere dür­fen nur mit ihrem Ein­ver­ständ­nis beschäf­tigt wer­den (Art. 35a Abs. 1 ArG).
  • Schwan­gere müs­sen sich unter geeig­ne­ten Bedin­gun­gen hin­le­gen und aus­ru­hen kön­nen (Art. 34 ArGV 3).

Schwan­ger­schaft / Lohnfortzahlung

1. Lohn­fort­zah­lung wäh­rend Schwangerschaft
  • Schwan­ger­schaft bedeu­tet nicht Arbeits­un­fä­hig­keit. Nur wenn Arbeits­un­fä­hig­keit nach­ge­wie­sen wird, besteht Anspruch auf eine Lohn­fort­zah­lung nach Art. 324a OR.
  • Diese Lohn­fort­zah­lung ist nicht mit­der­je­ni­gen zu ver­wech­seln, die ein Arbeit­ge­ber leis­ten muss, der im Falle von gefähr­li­chen oder beschwer­li­chen Arbei­ten keine andere gleich­wer­tige risi­ko­lose Ersatz­ar­beit bzw. im Falle von Abend- und Nacht­ar­beit keine gleich­wer­tige Tages­ar­beit anbie­ten kann.

Schwan­ger­schaft / Ferienkürzung

1. Feri­en­kür­zung
  • Eine Feri­en­kür­zung ist nur zuläs­sig, wenn die Absenz wegen der Schwan­ger­schaft län­ger als zwei Monate gedau­ert hat. Dies bedeu­tet, dass die Kür­zung erst ab dem drit­ten vol­len Monat Absenz mit einem Zwöf­tel zuläs­sig ist (Art. 329b Abs. 3 OR).

Mut­ter­schaft / Ein­schrän­kun­gen bei der Arbeit

1. Beschäf­ti­gungs­ver­bot
  • Ver­bot der Beschäf­ti­gung wäh­rend 8 Wochen nach der Nie­der­kunft (Art. 35a Abs. 3 ArG).
2. Ein­ver­ständ­nis der Beschäftigung
  • Von der 9. bis zur 16. Woche nach der Nie­der­kunft darf die Mut­ter nur mit ihrem Ein­ver­ständ­nis arbei­ten (Art. 35a Abs. 3 ArG).
  • Diese Rege­lung ist in Anbe­tracht des Mut­ter­schafts­ur­laubs nur noch für die 15. und 16. Woche nach der Nie­der­kunft von Bedeu­tung (ent­schliesst sich die Mut­ter bereits nach der 8. Woche wie­der zur Arbeit, liegt ihr Ein­ver­ständ­nis vor).
3. Abend- und Nachtarbeit
  • Ent­schliesst sich die Mut­ter, nach 8 Wochen nach der Nie­der­kunft ihre Arbeit wie­der auf­zu­neh­men, muss der Arbeit­ge­ber auf Ver­lan­gen Frauen, die zwi­schen der 8. und der 16. Woche nach der Nie­der­kunft am Abend und in der Nacht (zwi­schen 20.00 Uhr und 06.00 Uhr) arbei­ten, eine gleich­wer­tige Tages­ar­beit anbie­ten oder 80% des Loh­nes bezah­len (Art. 35b Abs. 1 und 2 ArG; bei Mut­ter­schafts­ur­laub ist dies für die 15. und 16. Woche relevant).
4. Ein­schrän­kung der Leistungsfähigkeit
  • Die Mut­ter darf gegen Vor­lage eines Arzt­zeug­nis­ses in den ers­ten Mona­ten nicht zu Arbei­ten her­an­ge­zo­gen wer­den, die ihre Leis­tungs­fä­hig­keit über­stei­gen (Art. 64 Abs. 2 ArGV 1). Das Arzt­zeug­nis muss Aus­kunft geben, wel­che Arbei­ten die Betrof­fene aus­üben kann und wel­che nicht.
5. Beschrän­kung der Arbeitszeit
  • Keine Ver­län­ge­rung der ver­trag­lich ver­ein­bar­ten ordent­li­chen Dauer der täg­li­chen Arbeits­zeit für stil­lende Müt­ter zuläs­sig. Die täg­li­che Arbeits­zeit darf über­dies in kei­nem Fall neun Stun­den über­schrei­ten (Art. 60 Abs. 1 ArGV 1).

Mut­ter­schaft / Stillzeit

1. Still­zeit
  • Stil­len­den Müt­tern dür­fen keine gefähr­li­chen oder beschwer­li­chen Tätig­kei­ten zuge­wie­sen wer­den (Art. 64 Abs. 3 ArGV 1).
  • Falls keine gleich­wer­tige, gefahr­lose Ersatz­ar­beit ange­bo­ten wer­den kann, haben sie Anspruch auf 80% des Lohnes.
  • Die stil­lende Mut­ter muss sich unter geeig­ne­ten Bedin­gun­gen hin­le­gen und aus­ru­hen können.
  • Es besteht ein Anspruch auf die zum Stil­len bzw. zum Abpum­pen erfor­der­li­che freie Zeit. Davon wer­den im ers­ten Lebens­jahr des Kin­des als bezahlte Arbeits­zeit ange­rech­net (Art. 60 Abs. 2 ArGV 1): 
    • Bei einer täg­li­chen Arbeits­zeit von bis zu 4 Stun­den: min­des­tens 30 Minuten.
    • Bei einer täg­li­chen Arbeits­zeit von mehr als 4 Stun­den: min­des­tens 60 Minuten.
    • Bei einer täg­li­chen Arbeits­zeit von mehr als 7 Stun­den: min­des­tens 90 Minuten.
  • Die erfor­der­li­che Still­zeit gilt nicht als Ruhezeit.
  • Keine Anrech­nung an Über­stun­den­kom­pen­sa­tion und / oder an Ferien zulässig.

Mut­ter­schaft / Mut­ter­schafts­ur­laub / Ferienkürzung

1. Mut­ter­schafts­ur­laub (Art. 329f OR)
  • Anspruch auf min­des­tens 14 Wochen (98 Tage)
  • Eine Unter­bre­chung des Mut­ter­schafts­ur­laubs ist nicht möglich.
  • Höhe der Tag­geld­leis­tun­gen: 80% des Loh­nes (Art. 16e EOG), höchs­tens aber CHF 196.00 pro Tag (dies ent­spricht 80% eines Loh­nes von CHF 7’350.00).
  • Aus­nah­men sind mög­lich, falls die Mut­ter vor der Nie­der­kunft höhere Leis­tun­gen von der Arbeitslosen‑, Unfall‑, Invaliden‑, Kran­ken- oder Mili­tär­ver­si­che­rung bezo­gen hat.
2. Vor­aus­set­zun­gen
  • Die Mut­ter muss wäh­rend der 9 Monate vor der Nie­der­kunft bei der AHV ver­si­chert sein (6 Monate im Fall der Nie­der­kunft vor dem 7. Monat der Schwan­ger­schaft, 7 Monate im Fall der Nie­der­kunft vor dem 8. Monat der Schwan­ger­schaft und 8 Monate im Fall der Nie­der­kunft vor dem 9. Monat der Schwangerschaft)
  • Die Mut­ter muss min­des­tens 5 Monate in die­ser Zeit vor der Nie­der­kunft gear­bei­tet haben.
  • Zur Ermitt­lung der Min­dest­ver­si­che­rungs­dauer müs­sen die in einem EU/EFTA-Staat zurück­ge­leg­ten Ver­si­che­rungs- und Beschäf­ti­gungs­zei­ten ange­rech­net werden.
3. Beginn des Urlaubs
  • Der Urlaub beginnt, wenn das Kind lebens­fä­hig gebo­ren wird. Die Dauer der Schwan­ger­schaft ist ohne Bedeu­tung (Art. 16c Abs. 1 EOG).
  • Falls das Kind tot gebo­ren wird oder nach der Geburt ver­stor­ben ist, hat die Mut­ter Anspruch auf Leis­tun­gen, wenn die Schwan­ger­schaft min­des­tens 23 Wochen gedau­ert hat.
  • Der Urlaub endet nach Ablauf der 14 Wochen. Er endet auch dann, wenn die Mut­ter die Arbeit vor Ablauf wie­der auf­nimmt (dies darf sie nach der 8. Woche nach der Niederkunft).
4. Auf­schub
  • Falls das Kind wäh­rend min­des­tens drei Wochen nach der Geburt im Spi­tal blei­ben muss, kann die Mut­ter einen Auf­schub der Zah­lun­gen ver­lan­gen, bis sie das Kind nach Hause neh­men kann (Art. 24 EOV).
  • Die Frage, ob die Arbeit­neh­me­rin wäh­rend der Auf­schubs­zeit einen Lohn­an­spruch im Sinne von Art. 324a OR hat, darf mit Blick auf Lehre und Recht­spre­chung bejaht wer­den. Das Beschäf­ti­gungs­ver­bot nach Art. 35a Abs. 3 ArG wird als Arbeits­ver­hin­de­rung im Sinne von Art. 324a OR betrachtet.
5. Keine Ferienkürzung
  • Der Arbeit­ge­ber darf die Ferien nicht kür­zen, wenn die Arbeit­neh­me­rin wäh­rend der 14 Wochen Mut­ter­schafts­ur­laub von der Arbeit fern geblie­ben ist (Art. 329b Abs. 3 OR).

Fall 1: Der reak­ti­ons­schnelle Arbeitgeber

Frau Mus­ter, dies sich noch in der Pro­be­zeit befin­det und nie zu Bean­stan­dun­gen Anlass gibt, teilt ihrem Vor­ge­setz­ten mit, dass sie schwan­ger ist. Tags dar­auf erhält sie die Kün­di­gung, die mit unge­nü­gen­der Leis­tung begrün­det wird. Ist diese Kün­di­gung rechtmässig?

Lösungs­an­sätze: 
  • Das Bun­des­ge­richt hat fest­ge­hal­ten, dass eine Kün­di­gung wegen unge­nü­gen­der Leis­tung nicht miss­bräuch­lich ist (BGE 4A_507/2013).
  • Aber: Die Arbeit­neh­me­rin hat die Mög­lich­keit, gestützt auf das GlG vor­zu­ge­hen. Die Dis­kri­mi­nie­rung bezüg­lich der Ent­las­sung wird ver­mu­tet, wenn diese von der betrof­fe­nen Arbeit­neh­me­rin glaub­haft gemacht wird (Art. 6 GlG).
  • Da der Arbeit­ge­ber die angeb­li­chen Leis­tungs­män­gel zuvor nie the­ma­ti­siert hat, dürfte es der Arbeit­neh­me­rin gelin­gen, glaub­haft dar­zu­le­gen, dass die Schwan­ger­schaft der Grund für die Kün­di­gung dar­stellt und damit dis­kri­mi­nie­rend ist. Sie kann eine Ent­schä­di­gung nach Art. 5 Abs. 2 GlG ver­lan­gen, die erfah­rungs­ge­mäss, zumin­dest vor der Schlich­tungs­stelle in Zürich, etwas höher als im Falle von miss­bräuch­li­chen Kün­di­gun­gen ausfällt.

Fall 2: Die schlaue Mitarbeiterin

Frau Mus­ter, seit drei Jah­ren im Betrieb, erfährt von ihrer Schwan­ger­schaft, teilt diese ihrem Vor­ge­setz­ten aber nicht mit. Die Arbeit­ge­be­rin kün­digt das Arbeits­ver­hält­nis mit Frau Mus­ter aus wirt­schaft­li­chen Grün­den, wor­auf Frau Mus­ter Nich­tig­keit der Kün­di­gung gel­tend macht. Zu Recht?

Lösungs­an­sätze: 
  • Es besteht vor­be­hält­lich beson­de­rer Umstände keine Pflicht der Mit­ar­bei­ten­den, eine Schwan­ger­schaft bei der Bewer­bung oder wäh­rend der Pro­be­zeit bekannt zu geben (BGE 4A_594/2018). Die Schwan­ger­schaft löst also die Sperr­frist nach Art. 336c Abs. 1 lit. c OR grund­sätz­lich aus.
  • Es sind aber Kon­stel­la­tio­nen denk­bar, in denen ein Rechts­miss­brauch der Mit­ar­bei­ten­den vor­lie­gen könnte. So wurde im Rah­men Rück­wei­sung an die Vor­in­stanz offen­ge­las­sen, ob ein Rechts­miss­brauch vor­liegt, wenn eine gekün­digte Arbeit­neh­me­rin in Kennt­nis ihrer Schwan­ger­schaft eine Sal­do­ver­ein­ba­rung unter­zeich­net, dabei den Arbeit­ge­ber über ihren Zustand im Unge­wis­sen lässt und sich erst rund zwei Monate spä­ter auf den Sperr­fris­ten­schutz beruft (BGE 4A_145/2015).
  • Auf alle Fälle wäre Kennt­nis der Arbeit­neh­me­rin über den Schwan­ger­schafts­schutz aber Vor­aus­set­zung für einen Rechtsmissbrauch.

Fall 3: Kün­di­gung nach Wie­der­auf­nahme der Arbeit

Frau Mus­ter nimmt ihre Tätig­keit als Con­trol­lerin nach Ablauf des Mut­ter­schafts­ur­laubs wie­der auf. Die Arbeit­ge­be­rin kün­digt einen Monat spä­ter das Arbeits­ver­hält­nis und begrün­det die Kün­di­gung mit einer Reor­ga­ni­sa­tion. Wesent­li­che Teile der Arbeit, die von Frau Mus­ter erle­digt wor­den sind, wer­den nun von einem Kol­le­gen erle­digt. Frau Mus­ter macht eine dis­kri­mi­nie­rende Kün­di­gung gel­tend. Zu Recht?

Lösungs­an­sätze: 
  • Wie bereits erwähnt, genügt nach Art. 6 GlG ein Glaub­haft­ma­chen für das Vor­lie­gen einer dis­kri­mi­nie­ren­den Kündigung.
  • Die Pra­xis z.B. der Pari­tä­ti­schen Schlich­tungs­be­hörde des Kan­tons Zürich für Strei­tig­kei­ten nach dem Gleich­stel­lungs­ge­setz ist ten­den­zi­ell streng gegen­über dem Arbeit­ge­ber. Wenn er nicht plau­si­bel nach­wei­sen kann, dass es effek­tiv einen ande­ren Grund für die Kün­di­gung als die Mut­ter­schaft gab, wird eine dis­kri­mi­nie­rende Kün­di­gung rela­tiv schnell angenommen.
  • Im vor­lie­gen­den Fall liegt keine eigent­li­che, son­dern ledig­lich eine vor­ge­scho­bene Reor­ga­ni­sa­tion vor. Denn die von Frau Mus­ter ehe­dem aus­ge­führ­ten Tätig­kei­ten wer­den immer noch, nun ein­fach von einer ande­ren Per­son, aus­ge­führt. Die Chan­cen von Frau Mus­ter auf eine Ent­schä­di­gung sind dem­nach sehr intakt.
  • In einem ver­gleich­ba­ren Fall schlug die Schlich­tungs­be­hörde eine Ent­schä­di­gung in der Höhe von vier Monats­löh­nen vor.

Fall 4: Der Königsweg

Frau Mus­ter ist schwan­ger. Sie möchte nicht auf den Mut­ter­schafts­ur­laub ver­zich­ten, aber nach dem Mut­ter­schafts­ur­laub ihre Arbeit auch nicht wie­der auf­neh­men. Sie bespricht die Ange­le­gen­heit mit ihrer Vor­ge­setz­ten. Wel­che Mög­lich­kei­ten bestehen?

Lösungs­an­sätze:
  • Die Arbeit­neh­me­rin hat natür­lich die Mög­lich­keit, das Arbeits­ver­hält­nis zu kün­di­gen. Befin­det sie sich aber noch in der Schwan­ger­schaft und dau­ert es noch rela­tiv lange, bis Nie­der­kunft und Mut­ter­schafts­ur­laub erfol­gen, kann ein Mei­nungs­um­schwung der Arbeit­neh­me­rin nicht aus­ge­schlos­sen wer­den. Ver­zich­tet sie dann auf die Kün­di­gung, sind dem Arbeit­ge­ber auf­grund des Kün­di­gungs­schut­zes nach Art. 336c Abs. 1 lit. c OR die Hände gebunden.
  • Auch nach Ablauf des Mut­ter­schafts­ur­laubs ist eine Kün­di­gung hei­kel, wenn keine geschlech­ter­neu­tra­len Gründe plau­si­bel vor­ge­bracht wer­den können.
  • Der Königs­weg in einer sol­chen Situa­tion kann eine Auf­hebungs­verein­barung sein. Eine sol­che ist nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts zuläs­sig, wenn dem Ver­zicht der Arbeit­neh­me­rin auf den Kün­di­gungs­schutz eine ver­gleich­bare Gegen­leis­tung gegen­über steht bzw. wenn die Arbeit­neh­me­rin ein ver­nünf­ti­ges Inter­esse an der Auf­hebungs­verein­barung hat.
  • Das Inter­esse der Arbeit­neh­me­rin besteht darin, den Mut­ter­schafts­ur­laub noch zu bezie­hen. Nach des­sen Ablauf müsste sie aber ggf. wie­der zu 100% arbei­ten, was oft nicht mit den Inter­es­sen der Arbeit­neh­me­rin in Ein­klang zu brin­gen ist. Es ent­spricht also durch­aus ihrem Inter­esse, mit der Auf­hebungs­verein­barung die nach Ablauf der Mut­ter­schaft eigent­lich noch zu leis­tende Kün­di­gungs­frist auszuhebeln.
  • Bei der For­mu­lie­rung einer ent­spre­chen­den Auf­hebungs­verein­barung emp­fiehlt es sich, in der Prä­am­bel ein paar Worte zum Hin­ter­grund der Ver­ein­ba­rung zu ver­lie­ren (etwa: «Die Arbeit­neh­me­rin beab­sich­tigt, nach Been­di­gung des Mut­ter­schafts­ur­laubs ihre Arbeit nicht wie­der auf­zu­neh­men. Aus die­sem Grund wird auf Wunsch der Arbeit­neh­me­rin fol­gende Auf­hebungs­verein­barung abgeschlossen…»).

Fall 5: Der Wunsch nach Pensumsreduktion

Frau Mus­ter ist schwan­ger. Sie möchte nach dem Mut­ter­schafts­ur­laub ihr Pen­sum redu­zie­ren und bespricht die Situa­tion mit ihrem Vor­ge­setz­ten. Die Arbeit­ge­be­rin ist mit der Reduk­tion des Pen­sums ein­ver­stan­den. Wel­che Lösung bie­tet sich an?

Vari­ante: Die Arbeit­ge­be­rin ist mit der Pen­sums­re­duk­tion nicht ein­ver­stan­den. Hat Frau Mus­ter einen Rechts­an­spruch auf Pen­sums­re­duk­tion nach Wie­der­auf­nahme der Arbeit?

Lösungs­an­sätze:
  • Die Reduk­tion des Pen­sums kann ein­ver­nehm­lich durch ent­spre­chende Ver­ein­ba­rung gere­gelt wer­den. Wie­derum emp­fiehlt es sich, in der Prä­am­bel die Moti­va­tion zum Abschluss einer sol­chen Reduk­tion des Pen­sums dar­zu­stel­len (etwa: «Die Arbeit­neh­me­rin möchte ihr Pen­sum nach Been­di­gung des Mut­ter­schafts­ur­laubs redu­zie­ren. Aus die­sem Grund schlies­sen ver­ein­ba­ren die Par­teien was folgt…»).
  • Falls der Arbeit­ge­ber mit einer Reduk­tion des Pen­sums nicht ein­ver­stan­den ist, muss die Arbeit­neh­me­rin ihre Arbeit nach Been­di­gung des Mut­ter­schafts­ur­laubs grund­sätz­lich wie­der auf­neh­men. Sie kann aber selbst­ver­ständ­lich das Arbeits­ver­hält­nis immer noch unter Ein­hal­tung der Kün­di­gungs­fris­ten auf das Ende des Mut­ter­schafts­ur­laubs kün­di­gen oder, falls sie die­sen Moment ver­passt hat, auf einen spä­te­ren Ter­min. Von der Arbeits­pflicht ist sie ent­bun­den, wenn sie ein Arzt­zeug­nis vor­zu­le­gen vermag.
  • Es stellt sich die Frage, ob Frau Mus­ter noch andere Mög­lich­kei­ten hat, ob sie z.B. einen Anspruch auf Reduk­tion des Pen­sums nach gel­ten­dem Recht unter Ver­weis auf ihre Fami­li­en­pflich­ten gel­tend machen kann. Diese Frage, ob sich in die­sen Fäl­len aus dem Per­sön­lich­keits­schutz (Art. 328 OR) ein Recht von Arbeit­neh­men­den ablei­ten lässt, den Beschäf­ti­gungs­grad zu redu­zie­ren oder zu erhö­hen, wird in der Lehre meist klar ver­neint, weil die Ände­rung eines wesent­li­chen Ver­trags­in­hal­tes des Kon­sen­ses bedürfe.
  • Es kann auch die Frage gestellt wer­den, ob die Arbeit­neh­me­rin eine Teil­kün­di­gung des Arbeits­ver­hält­nis­ses aus­spre­chen darf (wie das teil­weise im öffent­li­chen Per­so­nal­recht durch den Arbeit­ge­ber in gewis­sen Kon­stel­la­tio­nen geschieht). Soweit ersicht­lich, wurde diese Frage noch nie durch ein Gericht ent­schie­den. Die herr­schende Lehre dürfte davon aus­ge­hen, dass eine Teil­kün­di­gung als Offerte für eine Ver­trags­än­de­rung ver­stan­den wird.

Fall 6: Böse Überraschung

Eine Rege­lung der Arbeit­ge­be­rin sieht die pro­por­tio­nale Kür­zung des Bonus vor, wenn Mit­ar­bei­tende pro Kalen­der­jahr ins­ge­samt unver­schul­dete Abwe­sen­hei­ten von mehr als 30 Tagen aufwiesen.

Einer Mut­ter, die vom acht­wö­chi­gen Beschäf­ti­gungs­ver­bot nach Art. 35a Abs. 3 ArG betrof­fen war, wurde der Bonus ent­spre­chend gekürzt. Erfolgte die Kür­zung zu Recht?

Lösungs­an­sätze:
  • Nein, die Kür­zung erfolgte zu Unrecht. Das Arbeits­ge­richt Zürich stufte dies als geschlech­ter­dis­kri­mi­nie­rend ein, soweit dabei das zwin­gende Arbeits­ver­bot von Art. 35a Abs. 3 ArG Berück­sich­ti­gung fand. Zwar führe auch Mili­tär­dienst, der sta­tis­tisch bei die­ser Arbeit­ge­be­rin zu ins­ge­samt mehr Abwe­sen­heits­ta­gen führte als Mut­ter­schaft, zwin­gend zu einer Arbeits­ver­hin­de­rung, doch resul­tiere dar­aus auf­grund der meist gerin­gen Dauer im Regel­fall keine Bonu­s­kür­zung. Es sei des­halb der Arbeit­ge­be­rin zuzu­mu­ten, die Abwe­sen­heit infolge Mut­ter­schafts­ur­laub min­des­tens wäh­rend der Dauer des abso­lu­ten Arbeits­ver­bots anders zu behan­deln (Arbeits­ge­richt ZH, Ent­scheide 2014 Nr. 22).

Fall 7: Mut­ter mit Familienpflichten

Eine Direk­ti­ons­as­sis­ten­tin hatte sich auf eine Stelle bei einer Bau­firma bewor­ben. Kurz vor dem Vor­stel­lungs­ge­spräch erhielt sie eine Absage mit der Begrün­dung, als Mut­ter von klei­nen Kin­dern eigne sie sich nicht für die Stelle.

Ist diese Absage recht­mäs­sig? Wel­che Ansprü­che könnte die Direk­ti­ons­as­sis­ten­tin gege­be­nen­falls gel­tend machen.

Lösungs­an­sätze:
  • Nein, die Absage ist nicht recht­mäs­sig. Es fin­det das Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot nach GlG Anwen­dung, wenn eine Arbeit­neh­me­rin unzu­läs­si­ger­weise nach ihrer Fami­li­en­pla­nung gefragt wird und bei Beja­hung fami­liä­rer Absich­ten die Stelle nicht erhält.
  • Die Direk­ti­ons­an­ge­stellte kann nach Art. 5 Abs. 2 GlG eine Ent­schä­di­gung gel­tend machen.

Fall 8: Vater mit Familienpflichten

Eine Bereichs­lei­te­rin in einer öffent­li­chen Ver­wal­tung hatte sich intern um die Stelle als Abtei­lungs­lei­te­rin bewor­ben. Sie erhielt eine Absage , u.a. mit dem Hin­weis auf ihre Mehr­fach­be­las­tung durch Familienpflichten.

Die Arbeit­ge­be­rin bestritt eine Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Geschlechts, da beim Anstel­lungs­ent­scheid Mehr­fach­be­las­tung durch Fami­li­en­pflich­ten auch bei Män­nern gewich­tet wur­den. Die Bereichs­lei­te­rin focht die Nicht­be­för­de­rungs­ent­scheid an. Mit Erfolg?

Lösungs­an­sätze:
  • Nein, der zustän­dige Bezirks­rat lehnte eine Beschwerde gegen den Nicht­be­för­de­rungs­ent­scheid ab. Die nicht geschlech­ter­spe­zi­fi­sche Mit­be­rück­sich­ti­gung der fami­liä­ren Situa­tion ist zuläs­sig (Bezirks­rat Zürich, Ent­scheid vom 23.08.2001, GE.2001.00067)
  • Arbeit­neh­mende mit Fami­li­en­pflich­ten fal­len also nur inso­weit unter den Schutz des GlG, als eine Benach­tei­li­gung geschlech­ter­spe­zi­fisch moti­viert ist.

Fall 9: Tra­gi­scher Fall

Eine Arbeit­neh­me­rin erlei­det eine Fehl­ge­burt in der 25. Schwangerschaftswoche.

Gilt die gesamte Sperr­frist nach Art. 336c Abs. 1 lit. c OR?

Lösungs­an­sätze:
  • Ein gros­ser Teil der Lehre ver­tritt die Auf­fas­sung, dass bei Schwan­ger­schafts­ab­brü­chen, Fehl- und Tot­ge­bur­ten die für die staat­li­che Mut­ter­schafts­ent­schä­di­gung getrof­fene Lösung auch im Zivil­recht über­nom­men wer­den soll. Dem­nach gilt als Nie­der­kunft jede Geburt und jeder Abort, die nach Ende der 23. Schwan­ger­schafts­wo­che ein­tre­ten (Art. 23 EOV). Das Kan­tons­ge­richt Grau­bün­den hat diese Auf­fas­sung bestä­tigt (Kan­tons­ge­richt GR, JAR 2015, S. 498).

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