Die Arbeitsunfähigkeit und entsprechend das Arztzeugnis eines Arbeitnehmers spielt im Arbeitsrecht eine bedeutende Rolle. Ihr Nachweis obliegt dem Arbeitnehmer, der zu diesem Zweck in aller Regel ein Arztzeugnis vorlegt. Dieses wirft allerdings oftmals mehr Fragen auf, als es beantwortet.
Bedeutung der Arbeitsunfähigkeit
Die Arbeitsunfähigkeit zieht verschiedene Rechtsfolgen nach sich. Wer ohne sein Verschulden arbeitsunfähig ist, hat Anspruch auf Lohnfortzahlung (Art. 324a und b OR). Der Arbeitgeber darf sodann nach Ablauf der Probezeit das Arbeitsverhältnis während einer bestimmten von der Dauer des Arbeitsverhältnisses abhängigen Frist dann nicht kündigen, wenn der Arbeitnehmer ohne sein eigenes Verschulden an der Arbeitsleistung ganz oder teilweise verhindert ist (Art. 336c Abs. 1 lit. b OR). Und auch Ferien müssen eventuell nachgewährt werden, wenn der Feriengenuss aufgrund einer während der Ferien auftretenden Arbeitsunfähigkeit nicht gewährleistet ist.
Definition der Arbeitsunfähigkeit
Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn die Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung unmöglich (z.B. im Falle einer Grippe) oder unzumutbar ist (z.B. keine Verpflichtung des Arbeitnehmers, einen zwar aufschiebbaren, aber notwendigen medizinischen Eingriff in die Ferien zu verlegen). Die Arbeitsunfähigkeit ist stets funktionsbezogen, mit Blick auf die konkret geschuldete Arbeitsleistung, zu beurteilen. Ein Büroangestellter kann seine Arbeitsleistung auch mit einem verstauchten Fuss erbringen, der Bauarbeiter dagegen nicht.
Spezialfall arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit
Eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit ist gegeben, wenn der Arbeitnehmer an der Erbringung seiner konkret geschuldeten Arbeitsleistung bei seinem Arbeitgeber verhindert ist, aber an einem anderen Einsatzort oder bei einem anderen Arbeitgeber vollständig einsatzfähig wäre. Demgegenüber liegt eine generelle Arbeitsunfähigkeit dann vor, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung unabhängig vom Arbeitgeber und vom Einsatzort nicht erbringen kann.
Die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers wird durch eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit nicht tangiert (von Leistungen der Krankentaggeldversicherungen einmal abgesehen). Im Gegensatz zu einer generellen Arbeitsunfähigkeit löst die arbeitsplatzbezogene Arbeitsfähigkeit aber keinen zeitlichen Kündigungsschutz aus. Begründet wird das Ausbleiben des Kündigungsschutzes mit der Fähigkeit des Arbeitnehmers, während der Kündigungsfrist bei einer bloss arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit problemlos eine andere Anstellung zu suchen und anzutreten.
Der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit durch den Arbeitnehmer / Zweifel am Arztzeugnis
Die Beweislast für das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit obliegt vollumfänglich dem Arbeitnehmer, der zu diesem Zweck ein Arztzeugnis vorlegt. Die Gerichte stellen auf diese in der Regel darauf ab, sofern nicht begründete Zweifel bestehen. Solche begründeten Zweifel können dann auftauchen, wenn nacheinander Arztzeugnisse von verschiedenen Ärzten eingereicht werden („Doc shopping“), bei Ferndiagnosen (z.B. aufgrund eines Telefonats, ohne Untersuchung des Arztes), wenn das Zeugnis keine Mindestdauer der Arbeitsunfähigkeit enthält („bis auf Weiteres“), wenn das Zeugnis keine eigenhändige Unterschrift des Arztes und/oder kein Behandlungs- bzw. Untersuchungsdatum trägt oder wenn eine übermässige Rückdatierung vorliegt (mehr als 7 Tage). Die Ärztegesellschaft Zürich empfiehlt, rückwirkende Zeugnisse mit dem Vermerk „nach Angabe des Patienten“ zu versehen und längstens für eine Woche rückwirkend auszustellen unter Angabe des Zeitpunktes der Behandlung. Allerdings kann im Einzelfall eine längere Rückdatierung durchaus plausibel sind, etwa wenn der Arbeitnehmer bereits seit längerem arbeitsunfähig ist und bei demselben Arzt in Behandlung ist oder bei schweren Krankheiten.
Rückfragen beim Arzt und vertrauensärztliche Untersuchung
Ärzte sind an das Arztgeheimnis gebunden und dürfen keine Diagnose bekannt geben. Arztzeugnisse sind deshalb nicht besonders aussagekräftig. Es fehlen brauchbare Angaben über die Verwertung einer allfälligen Restarbeitsplatzfähigkeit und darüber, was unter eine Teilarbeitsunfähigkeit wirklich zu verstehen ist. Solche Unklarheiten können durch Rückfragen beim Arzt beseitigt werden. Der Arzt darf dem Arbeitgeber z.B. mitteilen, ob eine generelle oder eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit vorliegt, wie eine 50%-ige Arbeitsunfähigkeit tatsächlich zu verstehen ist und ob er den Arbeitnehmer klinisch untersucht oder lediglich eine Ferndiagnose gestellt hat.
Wenn begründete Zweifel an der Richtigkeit eines Arztzeugnisses bestehen, ist der Arbeitgeber berechtigt, auf eigenen Kosten eine vertrauensärztliche Untersuchung zu verlangen. Die Anordnung einer solchen Untersuchung beim Vertrauensarzt ist nach Lehre und Rechtsprechung sogar dann zulässig, wenn sie vertraglich nicht explizit vorgesehen ist (Treuepflicht des Arbeitnehmers). Falls sich der Arbeitnehmer der Untersuchung verweigert, kann sich der Arbeitgeber auf den Standpunkt stellen, dass die Arbeitsunfähigkeit – trotz Arztzeugnis – nicht belegt ist, und den Arbeitnehmer zur Arbeit auffordern. Kommt der Arbeitnehmer dieser Aufforderung nicht nach, darf der Arbeitgeber die Lohnzahlung einstellen.
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